Let’s go East – von Bermuda zu den Azoren

Die bevorstehende Etappe über den Nordatlantik von West nach Ost ist sicherlich die anspruchsvollste, die wir bislang unternommen haben. Anders als auf dem „Hinweg“ von den Kapverden in die Karibik, wo der Wind immer aus der gleichen Richtung weht und mit Stürmen nicht zu rechnen ist, ist das Gebiet geprägt von Tief- und Hochdrucksystemen, die von West nach Ost über den Atlantik ziehen und für wechselhafte Winde sorgen. In der Folge gibt es kaum keinen Segler, der ohne Flaute und ohne Sturm die Passage gemeistert hat.

Nun habe ich mich mit dieser Situation schon lange beschäftigt, sodass ich die Tage vor dem Aufbrechen erstaunlich gelassen bin. Aber etwas anderes hält mich in Atem: Ein Ersatzteil für den Windanzeiger, das ich nach Bermuda bestellt hatte. Dieses kommt auch tatsächlich pünktlich an – landet dann aber im Zoll und ist dort kaum herauszubekommen. An Unterstützung für diesen Vorgang mangelt es nicht: Die Dame vom Postamt führt für mich stundenlange Gespräche mit DHL, die Zollstelle von St. George, wo wir mit unserem Boot liegen, versucht Klärung mit dem Zoll in Hamilton, wo das Teil verweilt. Und auch Geza, der Stützpunktleiter unseres Vereins „Trans Ocean“, zu dem das Teil geschickt werden soll, ist involviert. Mehrfach gebe ich das Unterfangen schon auf, dann kommt wieder Hoffnung auf. In buchstäblich letzter Sekunde kann Geza die Lieferung vom DHL-Verteilzentrum in Hamilton abholen. Ich kann es kaum glauben, als ich das Teil schließlich am Abend vor unserer Abreise in den Händen halte.

Nun noch schnell in den Mast, um das Teil zu montieren, doch es bleibt ohne Funktion. Eines der Pins, die den Geber mit Strom versorgen, hat sich verabschiedet und eine Reparatur nachts bei Windstärke 6 ausgeschlossen. Ich bin tief frustriert. Nur das leckere Essen, das Simon auf den Tisch gezaubert hat, bringt ein wenig Erleichterung.
Nun lässt sich zum Glück auch ohne den elektrischen Windanzeiger auf Reise gehen, wir schlagen das Sonnenverdeck zurück, das wir seit den Kapverden kaum zurückgeklappt haben, um den Blick auf den rein mechanisch arbeitenden Windanzeiger mit dem klangvollen Namen Windex im Mast-Topp freizugeben. Funktioniert auch, wenn auch nicht so präzise wie das elektrische Pendant und ohne Angabe der Windgeschwindigkeit. Nun – es gibt sicherlich schlimmeres.

Tag 1 (Di, 30. April 2024)
Die Tage haben wir uns natürlich intensiv mit dem bevorstehenden Wetter auseinandergesetzt. Wieder dabei ist die Sima, die Segelyacht von Isa und Florian mit ihren beiden Kindern sowie Marius als Crewmitglied. Wie schon bei der Etappe von den Bahamas zu den Bermudas wollen wir den Ozean gemeinsam durchqueren.

Am Dienstagmorgen soll schließlich der Zeitpunkt sein, an dem der Anker hochgehen soll. Der Zeitpunkt ist überlegt gewählt: Zuvor weht es noch zu stark, aber wir sollten damit einigermaßen rechtzeitig sein, um einer nachrückenden Schwachwindzone davonsegeln zu können. Am Abend zuvor packen wir wieder unser Dingi an Deck, eine recht zeitraubende Angelegenheit. Da damit unsere Verbindung zum Land gekappt ist, holt mich Isa am nächsten Morgen mit ihrem noch im Einsatz befindlichen Dingi ab, um bei der Zollbehörde auszuklarieren. Leider nicht möglich: Der Mitarbeiter des Zolls erklärt uns, er komme selbst gerade aus dem Urlaub und habe nicht den passenden Schlüssel. Geöffnet werden könne – optimistisch betrachtet – erst in zwei Stunden. Nun möchte man meinen, bei einer bevorstehende Passage von etwa zwei Wochen kommt es nicht auf zwei oder drei Stunden an, aber meine Nerven sind zu blank, um dies gelassen aufzunehmen. Aber es hilft kein Jammern und kein Klagen, so manches läuft im Leben eben nicht so, wie man es gerne hätte.
Immerhin: Der zweite Versuch beim Zoll zwei Stunden später gelingt, nach etwa 10 Minuten sind wir ausklariert und damit gleichzeitig verpflichtet, Bermuda innerhalb der nächsten 60 Minuten zu verlassen. Kein Problem, hatten wir ohnehin vor.
Mittlerweile hat sich der morgens noch wolkenverhangene Himmel gelichtet, bei Sonnenschein passieren wir unter Großsegel die schmale Ausfahrt ins offene Wasser. Dort ergänzen wir unsere Segelgarderobe um die Genua und gleiten ganz unspektakulär mit 7 Knoten dahin.

Dicht hinter uns folgt die Sima. Und nähert sich langsam. Oh je, gibt das jetzt etwa ein unerträgliches Segelrennen? Ich zupfe an den Schoten und nach einiger Zeit vergrößert sich der Abstand wieder – Gott sei Dank, ich hatte schon befürchtet, dass dies ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden würde.
Auch wenn es das Wetter hergeben könnte und das Segeln kaum idealer verlaufen könnte – entspannt bin ich gar nicht, zu groß die Aufregung der letzten Tage. Und meine Crew ist auffällig still. Von Susanne wusste ich bereits, dass sie etwas Eingewöhnung in die Bootsbewegung benötigt, aber auch Marthe und Simon brauchen offensichtlich ebenfalls noch etwas Zeit. Trotz alledem lassen wir es uns nicht nehmen, aufzutischen: Mittags Kartoffelsalat, schon am Vortag vorbereitet, abends ein leckeres Curry.
So ganz allmählich komme ich vom Stress- in einen Wohlfühl-Modus. Zwischendurch repariere ich ein gebrochenes Schneidebrett. Und bereite vor, was ich in der zeitweise schlaflosen letzten Nacht vor Anker ersonnen habe. Nämlich den Windgeber nicht im unzugänglichen Mast-Topp, sondern am Geräteträger über den Solarzellen zu montieren. Zwar wird dort das Messergebnis, sprich der Wind, sicherlich von allerlei in der Nähe befindlichen Gedöns verfälscht, aber hoffentlich besser, als gar keine Anzeige zu haben.
Nun zu viert an Bord habe ich nicht mehr das Privileg, mich aus den Wachen auszuklinken. Wie schon auf der Etappe zu den Bermudas übernehmen Marthe und Simon die Hundewache von 00 bis 04 Uhr. Susanne und ich wachen davor und danach von 20 bis 24 und von 04 bis 08 Uhr, wobei dabei immer nur einer von uns wach bleibt, sofern es die Verhältnisse zulassen.
Die Dunkelheit bricht herein. Mit zurückgeklapptem Bimini werden die Sterne über uns sichtbar. Ein schöner Anblick, wenn auch das Cockpit ohne das gewohnte Dach über dem Kopf nicht ganz so anheimelnd ist wie sonst. Und hinter uns ist – wenn auch schwach – das Licht der Sima zu sehen.
Zwei weitere Segler begleiten uns, beide ebenfalls von Bermuda gestartet mit dem Ziel Azoren: Die Nabucco, eine mit 15 m Länge etwas größere Segelyacht, dessen Eigner wir beim Ausklarieren noch kurz getroffen hatten. Und die Gunilla, ein 50 m langer schwedischer Traditionssegler unter schwedischer Flagge. Beide Schiffe sind zwar nicht in Sicht- aber in AIS-Reichweite, sodass wir ihre Position, Kurs und Geschwindigkeit auf unserem Plotter verfolgen können. Die Gunilla ist langsamer, die Nabucco schneller als wir, aber die Geschwindigkeitsunterschiede sind nicht so krass, dass es schon entschieden ist, wer das Ziel Horta als erstes erreicht.
Ich hatte es schon in früheren Beiträgen erwähnt: Die erste Nacht auf See ist immer furchtbar. Ich jedenfalls finde erst einmal keinen Schlaf und gehe dann ziemlich gerädert durch den darauffolgenden Tag. Aber diese Nacht ist anders: Mitternacht lege ich mich ins Bett, bin hellwach, die Bewegungen in meiner Vorschiffkoje ziemlich ausgeprägt. Aber dann bin ich plötzlich weg für fast 6 Stunden. Nur ein Mal werde ich gerufen, als der Plotter einen Fehler anzeigt und von mir ein paar Streicheleinheiten benötigt. Wahrscheinlich war förderlich, dass ich die Nacht zuvor kaum geschlafen hatte. Außerdem ist dieses Raschen des Wassers, das gerade im Vorschiff wo ich schlafe besonders eindrücklich zu hören ist, ungemein beruhigend. Das klingt nach Speed, wir kommen voran!

Tag 2 (Mi, 01. Mai 2024)
Nach meinem Aufstehen um 06 Uhr ist es bereits hell und mit der Geschwindigkeit vorbei. Die Logge fällt erst auf vier, dann auf zwei Knoten. Mit dem Start des Motors möchte ich eigentlich warten, bis um 08 Uhr die Mannschaft langsam wach wird, aber das unsägliche Schlagen der Segel tut weh und ist auch nicht wesentlich leiser als der Motor.

Am Morgen rufe ich die neusten Wetterinformationen ab, denen ich die Länge der Flaute entnehmen möchte. Und das sieht nicht rosig aus – bis auf weiteres ist der Motor zu benutzen. Ich bin frustriert: Ich möchte ungerne bereits zu Beginn unserer Reise unseren Dieselvorrat vernichten. Und es kommen Gedanken, ob ich bei der Wahl des Wetterfensters nicht einfach vom Willen überrannt wurde, loszukommen. Aber zunächst besinne ich mich auf die Vorzüge, die das Motoren mit sich bringt: Die Batterie wird geladen, wir bekommen warmes Wasser und wir haben genug Energie zum Brotbacken.
Ganz unverhofft kommt bereits am späten Vormittag die Wende: Ich bilde mir ein, dass ein wenig Wind weht. Normalerweise braucht es keiner Ahnung, ob genug Wind da ist oder nicht, es lässt sich am Windanzeiger reicht eindeutig ablesen. Da der aber ohne Funktion ist, bleibt das Gefühl. Wir rollen die Segel aus und tatsächlich setzt das Boot nach Ausschalten des Motors seine Fahrt fort, erst ganz langsam, bald sogar schneller als unter Motor. Die Welt ist wieder in Ordnung.
Da die Bewegungen des Schiffes ruhig bleiben, kann ich mich der Reparatur des Windgebers widmen. Mit Simon, stets interessiert, mache ich mich ans Werk. Ich hätte ihm gerne gezeigt, wie schön und einfach sich Lötverbindungen herstellen lassen, aber mein Gaslötkolben will nicht. Nach einigem Fluchen gelingt schließlich der Anschluss mithilfe von zweckentfremdeten Aderendhülsen. Ein erster Test sieht vielversprechend aus und einer Montage am nächsten Tag steht nichts mehr im Wege.
Zum Nachmittag ist wieder das Wetter dran. Florian meldet sich mit den neuen Daten. Da selbst die kurzfristige Vorhersage für die nächsten 24 h wenig stetig ist, müssen wir immer wieder neue Entscheidungen treffen. Immerhin können wir uns schnell auf eine Strategie einigen: Auf unserem Kurs nach Norden weitersegeln um den dortigen stärkeren Wind zu nutzen, dann kurz vor Sonnenuntergang eine Halse, mit der wir wieder weiter nach Süden gelangen, um genau zwischen zwei Schwachwindzonen hindurchzuzirkeln.
Halsen am Abend kurz vor dem Dunkelwerden haben immer etwas Kurioses, denn um diese Zeit steht auch das Abendessen an, sodass das fast halbstündige Manöver sozusagen in das Kochrezept integriert werden muss. Aber das gelingt perfekt und direkt nach dem Manöver werden wir mit einem warmen Essen belohnt.

Die zweite Nacht verläuft, anders als die erste, für mich nicht besonders erfolgreich, indem ich nur schwer Schlaf finde. Dies liegt sicherlich auch am Geräuschpegel: Die Segel schlagen unaufhörlich, das ist nicht nur laut, sondern tut auch noch weh. Auch erweist sich das Manöver, das ich mit Simon bei dessen Übernahme der Wache um Mitternacht eingeleitet hatte, im Nachhinein als unsinnig: Direkt nach dem Manöver beginnt der Wind so zu drehen, dass es besser gewesen wäre, einfach alles umso zu belassen. Dadurch sind wir einen ordentlichen Umweg gesegelt.

Tag 3 (Do, 02. Mai 2024)

Dies hat aber immerhin auch etwas Gutes: Die Sima befindet sich nun wieder in Sichtweite, nachdem wir sie bereits 10 Meilen hinter uns gelassen hatten. Ich hatte schon gegrübelt, ob wir ein wenig Fahrt aus dem Boot nehmen sollten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Diese Überlegungen sind nun nicht mehr notwendig. Und auch den gesamten Tag über bleibt die Distanz zwischen unseren Schiffen mit faszinierender Präzision konstant.
Am Frühstückstisch stellen wir ein gewisses Ungleichgewicht fest. Während Susanne, Marthe und Simon überlegen, wie sie den Tag totschlagen können, entsteht bei mir gerade eine lange Liste der zu erledigenden Punkte: In der Nacht hat sich der Schäkel am Hals der Genua losgerüttelt, der nun wohl sicher auf 4000 m Tiefe liegt. Der Windgeber soll provisorisch für diese Etappe am Heck des Schiffs installiert werden. Außerdem möchte ich Gymnastik machen und zwischendurch ein wenig Schlaf nachholen. Beim Auftischen der Milch gleitet mir dann auch noch das Milchgefäß aus der Hand und ergießt sich in den Kühlschrank. Zum Glück erweist sich Susanne als so geistesgegenwärtig mir anzubieten, dass ich letzteren Punkt von meiner Liste streichen könne – sie kümmert sich uns Saubermachen. Und so Stück für Stück sehe ich auch wieder Land.
Der spannendste Punkt ist natürlich die Installation des Windgebers. Und das funktioniert tatsächlich ganz passabel, das Ergebnis wird für das Segeln hilfreich sein.

Währenddessen ist der Wind ist – vor allem für eine Atlantiküberquerung von West nach Ost – erstaunlich gleichartig: Stets von hinten pendelt er in seiner Stärke zwischen ideal und etwas zu schwach. Und selbst für die nächsten Tage ist dieser Wind weiter zu erwarten. Dies ist allerdings nicht nur göttliche Fügung. Zwei Mal täglich rufe ich die aktualisierten Wetterdaten ab. Und gemeinsam mit Florian schauen wir nach der idealen Route, um durch das komplexe Wettergebilde zu kommen. Vor allem vorbei an Schwachwindzonen: Bloß nicht einparken!
Anja schickt mir unterwegs Bilder von unserem Ziel, den Azoren. Sehr eindrucksvoller Urwald, der mich in seiner Üppigkeit an die kleinen Antillen erinnerten. Darauf freue ich mich schon, aber noch ist es viel zu früh und im wahrsten Sinne des Wortes zu weit weg. Überhaupt komme ich sehr rasch in diesen Modus, nicht auf das Ziel zu schauen, sondern das Reisen als einen Zustand zu erleben. Dabei hilft sicherlich auch, dass wir tagtäglich vom Blau umgeben sind und vom Voranschreiten nur in sehr abstrakter Form etwas merken, nämlich durch den Blick auf den Plotter.


Tag 4 (Do, 03. Mai 2024)
In der Nacht sind wir gut vorangekommen. Deshalb steht gleich morgens bei der Übernahme der Wache eine Entscheidung an:
Die Halse, die Florian und ich für die Morgenstunden geplant haben, könnte bereits jetzt eingeleitet werden. Aber das Manöver soll synchron mit der Sima erfolgen, um uns nicht auf den Augen zu verlieren. Am UKW-Funk meldet sich Isa. Sie müsste für das Manöver ihre beiden Männer wecken, die sich gerade im wohlverdienten Schlaf befinden. Also verabreden wir uns für 08.30. Mittlerweile haben wir die aufwendige Prozedur in kurzer Zeit so oft durchgeführt, dass es gut durch die Hand geht.

Während wir bislang meist um jeden Knoten Wind dankbar waren, gehen heute Morgen einige Böen durch. Ganz ungewohnt binden wir ein Reff ins Groß und setzten das kleinere Vorsegel. Nach einiger Zeit wird es ruhiger, nicht nur der Wind, sondern auch die Wellen. Ganz gepflegt können wir am gedeckten Cockpittisch speisen.

Trotz dieser Ruhe kommt der Entschluss zum Ausreffen recht spät. Denn wir erwarten den Durchzug eines Trogs, der Regen und Wind sowie möglicherweise auch Gewitter mit sich bringt. Sehr eindrucksvoll stehen die zugehörigen Wolken bereits am Horizont bereit. Aber ich überwinde mich und wir setzten wieder volle Segel, zumal sich die Wolkenwand uns ausgesprochen langsam nähert.

Währenddessen mache ich mir mit Florian schon einmal Gedanken über das Tief mit einhergehendem Starkwind, der in zwei Tagen einsetzten soll. Dieses Tief war schon lange angekündigt, nun ist sein Eintreffen so nahe gekommen, dass sich lohnt, eine Strategie festzulegen. Wir einigen uns recht schnell, nach Süden auszuweichen, um den Wind nicht in voller Wucht abzubekommen. Das Weather-Routing-Programm schlägt uns zwar trotz der Einstellung „vermeide Starkwind“ vor, fast durch das Zentrum des Zyklons zu segeln, diese ignorieren wir aber dieses Mal. Ein Computer ist halt ein dummes Wesen.
Gegen Abend baut sich die schon erwähnte Wolkenfront bedrohlich vor und auf. Und sieht nach sinnflutartigem Regen aus. Susanne und ich, die die 20-Uhr-Wache haben, werfen uns schon mal in Ölzeug. Für mich seit dem Verlassen von Europa vor beinahe zwei Jahren eine ganz neue Erfahrung. Zwar haben wir während der Regensaison in der Karibik täglich mehrmals mit oft heftigem Niederschlag zu tun gehabt, dort war aber die Badehose die praktischste Regenbekleidung. Gebannt warten wir, was da kommt. Und nachdem wir auch alles im Cockpit regenfest verstaut haben, sind wir etwas enttäuscht, dass kaum etwas runterkommt. Dafür aber das typische Wetterphänomen einer Wolke: Mal mehr Wind, dann wieder weniger, begleitet von Winddrehern. Und am Horizont sehen wir immer wieder Wetterleuchten, das uns aber zum Glück nicht nahe kommt.
Als der Spuk zu Ende zu sein scheint, bringe ich das Boot mit Susanne durch die Halse. Auf dem AIS haben wir gesehen, dass das Manöver auf der Sima bei Helligkeit und bereits vor dem Eintreffen der Regenfront gefahren wurde. Da wir das Manöver mittlerweile schon so oft tagsüber durchexerziert haben, geht es aber auch in der Nacht vollkommen reibungsfrei über die Bühne.

Das anschließende Segeln hat etwas Magisches: Die Nacht ist tiefschwarz, anders als die Nächte zuvor sorgen keine Sterne für Helligkeit. Zu sehen ist das Positionslicht der Sima. Außerdem das Licht eines weiteren Seglers, der mit etwa einer Seemeile Abstand passiert. So dicht sind wir bislang keinem anderen Schiff gekommen. Geisterhaft. Diese besondere Stimmung endet leider zum Ende meiner Wache: Der Wind wird schwächer, wir machen zwar noch immer 3 bis 4 kn Fahrt, aber das Schlagen der Segel ist ohrenbetäubend. Und zehrt an den Nerven. Ich übergebe das Boot in diesem unsäglichen Zustand an Simon und verschwinde unter Deck. Mein Schlaf ist trotzdem hervorragend, nur einmal werde ich zum Reffen geweckt. Hocherfreut verkleinern wir gegen drei Uhr das Segel, der Wind ist wieder da und das Geräusch von rauschendem Kielwasser statt Baumgepolter ist einfach göttlich.

Tag 5 (Sa, 04. Mai 2024)
Und auch morgens beim Aufstehen rauscht es noch immer. Genial! Und auch der Sima ist es wohl nicht anders ergangen, sie segelt wieder in wenigen Meilen Abstand zu uns.
Dieser Tag ist der Tag der Reparaturen: Erst gehen wir einem Geknarze nach, das aus der hinteren Backskiste in der Nähe des Ruders zu hören ist und Martha und Simon den Schlaf raubt. Nach der Wetteranalyse und Strategiebesprechung mit Florian und anschließendem Frühstück räumen wir die Backskiste so weit leer, dass ich das Innere abhorchen kann. Missstände rund um das Ruder können durchaus zu Nervosität beim Skipper führen und ich bilde da keine Ausnahme. Zum Glück lässt sich die Ursache schnell lokalisieren und durch Nachziehen der zugehörigen Schrauben einfach beheben.
Des Weiteren hat sich über Nacht die Klemme des Toppnanten verabschiedet, indem sie durch ungünstigen Segeltrimm zu viel Last bekommen hatte. Ich kann sie wieder anschrauben und für die Überfahrt zu den Azoren wird es reichen, aber dann muss Ersatz her. Und dann taucht unter der Rollanlage der Fock schwarzer Deck auf, der nach Abrieb aus der Rollfockanlage aussieht. Ich versuche mir ein Bild zu machen, das Phänomen bleibt aber unerklärlich, zumal sich keine Auffälligkeiten in der Funktion zeigen. Seine Lösung muss wohl bis auf die Ankunft auf den Azoren warten, wo ich die Anlage demontieren kann.

Dann erfolgt noch etwas ganz Besonderes: Zeitumstellung. Am heutigen Tag überschreiten wir die erste Zeitzonengrenze seit Verlassen von Bermuda. Schon zuvor haben wir überlegt, wann wir die Uhren weiterstellen. Die naheliegende Lösung, diesen Moment wie an Land üblich in die Nacht zu legen, verwerfen wir. Denn dann würde eine der Nachtwachen kürzer ausfallen und die zugehörige Freiwache um eine Stunde Schlaf gebracht werden – ungünstig. Stattdessen wählen wir 14 Uhr aus, wo der Zeitsprung am unauffälligsten ist. Trotzdem muss sich unser Rhythmus, der sich inzwischen ausgebildet hat, auf die neue Zeit einstellen, ganz ähnlich wie bei der Umstellung von Winter- auf Sommerzeit. Natürlich könnten wir die Zeitzonen auch ignorieren und erst auf den Azoren die Uhren drei Stunden weiterstellen. Aber dann würde am Ende der Überfahrt die Sonne schon um 16 Uhr untergehen – und stünde gegen drei Uhr morgens bereits am Himmel.
Und noch etwas steht an: Wassermachen, der erste Tank ist bereits verbraucht. Und der heutige Tag ist der letzte vergleichsweise ruhige Tag, bevor es mit Durchzug eines Tiefs sportlicher werden kann. Nun ist die Energie auf einer Segelyacht immer knapp und während Überfahrten reicht sie so gerade eben, insbesondere wegen des immensen Verbrauchs des Autopiloten, der unermüdlich 24 Stunden am Tag deinen Dienst tut. Ich bin nervös, dass alles gut geht, auch wenn mir bewusst ist, dass wir selbst bei einem Defekt des Watermakers nicht verdursten würden – die Reise würde lediglich an Komfort verlieren. Zum Glück scheint an diesem Tag die Sonne so intensiv, sodass wir sozusagen die Sonnenstrahlen direkt in Wasser verwandeln können. Nur zum Ende des Tages muss der Motor zur Batterieladung noch einmal für eine halbe Stunde laufen.

Den ganzen Tag über bleibt uns der Wind treu. Ab und zu ein Reff rein und wieder raus oder die Genua von Steuerbord nach Backbord schiften, ist alles, was notwendig ist, um die Fahrt im Schiff zu halten. Nur zur Nacht hin wird der Wind etwas dürftig, aber das soll sich in den nächsten Tagen ändern.

Tag 6 (So, 05. Mai 2024)
Die Nacht verläuft ruhig, der Wind ist bei einer angenehmen Stärke geblieben, der kein weiteres Reffen notwendig gemacht und stark genug war, um Segelschlagen zu vermeiden. Als ich Susanne um 06:00 von ihrer Wache ablöse, merke ich, wie sie mit der Müdigkeit zu kämpfen hat. So ist es häufig: Den einen Tag geht die Wache rum wie im Fluge, anderntags könnte man im Stehen einschlafen.
Mit dem Hellerwerden werden mächtigen Haufenwolken am Horizont sichtbar, die sich hoch auftürmen. Sie erinnern mich an die Wolkengebilde bei der Überfahrt von Ost nach West – obwohl wir jetzt in einer ganz anderen Klimazone unterwegs sind.

Ab heute soll der Wind zunehmen – Auswirkung eines Tiefs, das nördlich von uns hindurchzieht. Jedoch haben wir zunächst noch entspannten Wind von hinten. Mit der ersten Regenwolke, die vormittags über uns hinwegzieht, dreht der Wind wie angekündigt auf Halbwindkurs. Der Spi-Baum, mit dem wir bei Rückenwind die Genua seit Beginn unserer Reise fast durchgängig ausgebaumt haben, hat nun für die nächsten Tage seine Schuldigkeit getan und wird an den Mast geklappt. Der Wind ist in seiner Stärke sehr unterschiedlich und so sind wir ständig dabei, ein- und wieder auszureffen. Dann kommt die erste kräftige Regen-Böe, die das Boot aus dem Ruder laufen lässt. Etwas hektisch reffen wir und tauschen die Genua gegen die Fock aus. Die zweite Böe kommt noch unerwarteter als die erste, praktisch aus dem Nichts. Das Boot lehnt sich ordentlich zur Seite, Gegenstände unter Deck segeln durch die Luft, Simon rutscht auf der Rückbank des Cockpits von der Backbord- auf die Steuerbordseite und landet unsanft im Heckkorb. Zum Glück bleibt es bei einem blauen Fleck am Arm von eindrucksvoller Größe.

Tag 7 (Mo 06. Mai. 2024)

Ein rauer Tag beginnt. Die Wellen sind steil und unregelmäßig. Zudem bin ich unzufrieden, wie sich das Boot durch die Wellen bewegt: unbeholfen und langsam. Und immer wieder wird es durch eine verquere Welle aus dem Kurs gebracht. Dass das Boot ab und an eine Verneigung macht, hatten wir ja schon am Vortag gelernt, nun sind alle dreifach vorsichtig.

Am Vorabend hatten wir in das Großsegel kunstvoll das dritte Reff eingebunden – Premiere! Nach langem Ringen lasse ich das Großsegel jedoch ganz wegnehmen. Ich habe den Eindruck, das winzige noch übriggebliebe Dreieck, das ohne Profil flach wie ein Brett steht, schadet mehr als dass es Vortrieb liefert. Nun laufen wir nur unter Fock weiter, die bei Bedarf mit wenigen Handgriffen gerefft werden kann.
Vom UKW-Gespräch mit Florian weiß ich, dass auf der Sima auch nur noch das Vorsegel steht. Trotzdem ist sie schneller, überholt uns und nimmt dann immer wieder eine weitere Zehntelmeile, bis sie am Ende des Tages 6 Meilen vor uns liegt. Was für eine Schmach, mit fällt aber auch keine weitere Optimierung ein, um uns schneller zu machen.
Zudem summiert sich an diesem Vormittag ein Problemchen zum anderen. Einer der Mastrutscher hat sich vom Großsegels gelöst. Das Starlink-System, über das wir die Wetterdaten erhalten, will nicht starten – erst nach über einer Stunde bequemt sich das System, eine Internetverbindung aufzubauen. Mein Handy wird nicht geladen, das letzte funktionierende Ladekabel scheint auch noch seinen Geist aufgegeben zu haben. Und bei der Suche nach Ersatz donnert die Box mit dem Ladekabeln durch den Salon – ein Unglück kommt bekanntermaßen selten allein.
Immerhin kann ich morgens einen offenen Punkt schließen: In der Nacht war am Mast ein flatterndes Geräusch zu hören, dessen Verursacher ich in der Dunkelheit nicht ausmachen konnte. Nun kann ich bei Tageslicht den Toppnanten ausmachen, der am Deckslicht hängen geblieben war. Harmlos.
Weniger harmlos sind klopfende Geräusche vom Ruder. Ich kann die Quelle dieser Klänge nicht finden, ohne wieder in die Backskiste zu steigen, die hierfür aber erst ausgeräumt werden muss. Keine gute Idee bei dem Seegang und der regelmäßig überkommenden Gischt. Also ein Projekt für morgen, wenn die Bedingungen zahmer sein sollen.
Dann meldet sich noch der Autopilot zu Wort: Unterspannung, die Batterie ist über Nacht, wo die Solarzellen keinen Strom liefern und beim Starkwind der Autopilot besonders schwer arbeiten musste, zu weit entladen worden.
Naja, so langsam schaffe ich die Unregelmäßigkeiten aus der Welt. Aber wenn sich in so kurzer Zeit eines dieser Unpässlichkeiten zum anderen gesellt, kann das schon zur Verzweiflung führen.
Der Tag bleibt auch so anstrengend: Der Wind pfeift unerlässlich mit Windstärke 7. Zudem werden die Wellen regelmäßiger, aber auch höher. An Abend sind richtige Berge entstanden, zwischen denen das Boot versinkt, um von der nächsten Welle wieder emporgehoben zu werden. Meist ganz harmlos, manche Wellen haben aber auch den Schalk im Nacken und ergießen sich ins Cockpit. Eine findet sogar ihren Weg in den Innenraum. Simon und ich machen uns ans Auffeudeln. Der nimmt’s zum Glück mit Humor, wegen solcher Geschichten sei er schließlich hier. Und Simon ist noch in anderer Hinsicht bewundernswert, indem er uns unter diesen Umständen noch ein Abendmahl beschert. Highlight des Tages, noch mal etwas Warmes in den Magen zu bekommen.

Und ausgerechnet jetzt gibt es noch etwas zu feiern: Bergfest, also die Mitte des Törns ist erreicht. Bei dem Wind dieses Mal leider kein Kuchen, stattdessen aber eine doppelte Keksration.
Über die Nacht soll der Wind allmählich abnehmen. Und gegen 02 Uhr während Martha und Simon Wache schieben, werde ich wach und bin ganz sicher: Der Wind lässt das Setzen des Großsegels zu. Ich ziehe mich an – bei den Bootsbewegungen immer eine zeitraubende und nicht enden wollende Prozedur – und komme an Deck. Dort wirkt der Wind zwar gar nicht mehr so schwach wie von innen. Aber er hat sich tatsächlich weit genug gemäßigt, um wieder ein zweites Segel zu setzten. Gleichzeitig ist dies ein untrügerisches Zeichen: Wir sind wieder auf dem Weg zum Normalzustand. Zufrieden schlafe ich wieder ein, wenn es auch auf dem Kurs noch immer sehr rumpelig zugeht: Immer wieder setzt der Bug hart in die See ein, dass man meinen könnte, wir hätten einen Wal gerammt und das Schiff falle gleich auseinander.

Tag 8 (Di 07. Mai. 2024)

Der Tag beginnt zwar bedeckt, aber bald macht sich strahlender Sonnenschein breit. Dazu mäßiger, guter Segelwind, wenn auch auf einem weniger komfortablen Am-Wind-Kurs, aber kein Vergleich zum Vortag. Dies betrifft auch die Wellen: Zwar hatte uns die Wellenvorhersage für beide Tage ähnliche Wellenhöhen von 4 m vorhergesagt. Dies trifft auch zu, aber glücklicherweise sind diese heute vollkommen harmlos: Hoch, aber langgestreckt heben sie das Schiff lediglich in Zeitlupe an und lassen es wieder absinken.

Wir alle sind heilfroh, dass sich nun alles wieder nach ganz normalem Segeln anfühlt. Sogar richtig gutes Segeln.

An die Starkwindphase soll sich – wär hätte das gedacht – eine Phase mit schwachem Wind anschließen. Zum Glück nicht lange, abends soll sie einsetzten und bis zum nächsten Morgen andauern. Danach ist hervorragender Segelwind angekündigt: mittlere Windgeschwindigkeiten von hinten. Hierauf freue ich mich schon. Und wenn wir schnell genug sind, können wir diesen Wind fast bis zu den Azoren nutzen. Das sind gute Aussichten, die den Schwachwind-Abschnitt gut verschmerzbar machen.
Den gesamten Tag aber herrscht noch immer guter Segelwind, auch wenn ich ständig damit rechne, dass er einschlafen würde. Aber stattdessen müssen wir zwischendurch sogar ein Reff in die Genua binden. Derweil herrscht an Bord eine Stimmung zwischen Zufriedenheit und Lethargie. Alle sind erschöpft von den letzten Tagen und dösen vor sich hin. Zum Kaffeetrinken gibt es dann noch etwas Besonderes: Schokoladenkekse von „gut und günstig“, die Martha von ihren letzten Segeltörn aus Deutschland mitgebracht hatte und die eigentlich für Ihre Anreise vorgesehen waren. Jetzt sind die Kekse purer Luxus.
Der Abend wird dann wirklich flau. Die Segel flappen hin und her, aber trotzdem bewegen wir uns noch mit drei bis vier Knoten vorwärts. Erstaunlich ist wieder die Helligkeit der Nacht: Auch ohne Mondschein genügen die Sterne, um einzelne Wolken am Himmel deutlich sichtbar zu machen. So ist es gar nicht so düster und dunkel wie man meinen würde, sondern von ganz besonderer Stimmung.
In der Nacht herrschen zwar sehr moderate Bedingungen, trotzdem ist meine Nachtruhe stets von nur kurzer Dauer:
Meine erster ohnehin nur halbstündige Power-Nepp am Abend wird durch das laute Signal des UKW-Funkgeräts unterbrochen. Ein Frachtschiff, das uns in einem Abstand von sieben Seemeilen passiert, wollte mit mir Kontakt aufnehmen.
Auch meine nächste Freiwache wird sauber in drei einzelne Abschnitte unterteilt: Zunächst macht ein schon vom Wetterbericht angekündigter Winddreher ein Ausbaumen der Genua notwendig. Und nach einigen Stunden schläft der Wind ein – selbst ich muss einsehen, dass es keinen Sinn macht, mit schlagenden Segeln weiterzureisen. Also Motor an. Gleichzeitig starte ich den Watermaker, um die nebenbei hergestellte elektrische Energie zu nutzen.

Tag 9 (Mi, 8. Mai 2024)
Der nächste Morgen ist mittlerweile schon fast Routine. Starlink einschalten, dann warten und hoffen, dass eine Verbindung zustande kommt. Wetterbericht anfordern und auswerten. Konzept für die Route festlegen. Schon mal einen Tee kochen. E-Mail eines norwegischen Einhandseglers beantworten. Der hatte als Amateurfunker herausgefunden, dass ich mich ebenfalls auf dem Weg zu den Azoren befinde. Und mich über meine über Kurzwelle abrufbare E-Mail angeschrieben. Diesen Morgen auch noch den Watermaker verarzten, der zum Ende Luft gezogen und dadurch seinen Dienst quittiert hatte.
Besonders erfreulich: Gleich nach dem Aufstehen, nach nur zwei Motorstunden, können die Segel wieder gesetzt werden. Zwar meint man unter Deck, wo das Schlagen der Segel besonders laut zu hören ist, das Rigg komme gleich von oben, aber wir bewegen uns mit erstaunlichen vier bis fünf Knoten vorwärts.

Nach dem Frühstück gehe ich wieder mit Florian das Wetter durch. Unsere Route soll nicht geradlinig auf Horta zugehen, sondern in einem weiten Bogen nach Norden erfolgen. Auf diese Weise kann ein Hochdruckgebiet mit entsprechend lauen Winden umsegelt werden, dass sich über die nächsten Tage genau zwischen uns und den Azoren breit macht. Die Frage, für welche Variante wir uns entscheiden, stellt sich nicht. Wohl aber, wie wir am besten dort hinkommen, um Winddreher und wechselnde Windstärken möglichst optimal zu nutzen.
Etwas getrübt wird die Freude durch die Aussicht auf auf das Ende der Etappe, denn dann wird sich das erwähnte Hochdruckgebiet als Azorenhoch uns in den Weg stellen. Nichts Ungewöhnliches: So manch ein Segler musste tagelang durch dieses oftmals sehr stabile und ausgedehnte Hoch motoren, weshalb viele für die Etappe zusätzlichen Diesel in Kanistern mitnehmen und sie dekorativ an Deck aufreihen.
Aber das Segeln ist an diesem Tage wirklich optimal: Im Schmetterling gleiten wir bei raumen Wind nur so dahin. Dazu kommt blauer Himmel heraus. Die Wellenhöhe beträgt zwar noch immer 1,5 Meter, aber es sind harmlose, lang gestreckte Kameraden, die uns nicht davon abhalten können, wieder im Cockpit den Tisch zu decken und standesgemäß zu speisen. Natürlich auch dank Simon und Marthe, die sich immer schon vorher Gedanken gemacht haben, welches Essen unter welchen Seegangsverhältnissen mit den an Bord befinden Ressourcen realisiert werden kann. Heute Mittag zum Beispiel bildet selbstgemachtes Brot, in der Pfanne gebacken, die leckere Grundlage.

Am Nachmittag gekommen wir dann ungewohnt Besuch: Erst taucht eine andere Segelyacht vor uns am Horizont auf. Leider hat sie kein AIS, sodass wir ihren Namen und Nation nicht ausmachen können. Und ihren Kurs können wir nur vage abschätzen: auf direktem Kurs zu den Azoren. Verrückt, dass wir hier inmitten des Ozeans auf eine andere Yacht treffen! Schon wenig später ein weiteres Schiff: ein Frachter, der uns in nur einer Seemeile Abstand passiert.
Durch die Nacht geht es wie auf Schienen: Raumer Wind, Schmetterling, ein wenig Kurskorrekturen hier und dort, der Wind weht gleichmäßig. So könnte Segeln immer sein!

Tag 10 (Do, 9. Mai 2024)
Beim Aufstehen begrüßt mich nicht nur Susanne, sondern auch ein rauschendes Schiff, das permanent mit 8 Knoten durch die Welle geschoben wird. Ich mache mir etwas Gedanke um die Sima, die ja eigentlich unser Buddy-Boat ist und am letzten Abend bereits 20 sm zurücklag. Der kräftige Rückenwind ist die Paradedisziplin der Aluna und der Abstand wird sich im Zweifelsfall vergrößert haben. Deshalb binden wir noch ein weiteres Reff ins Groß und die Geschwindigkeit reduziert sich auch tatsächlich um etwa einen Knoten.

Tatsächlich scheinen wir uns von der Sima entfernt zu haben: Über UKW-Funk ist von Florian aufgrund der Distanz nur noch Rauschen mit einigen Wortfetzen zu verstehen. Wir können und noch so weit verständigen, dass wir per WhatsApp telefonieren wollen. Der Anruf wird allerdings von Florians Seite nicht entgegengenommen. Er muss offensichtlich das System noch starten. Als ich ihn auch nach einer weiteren Stunde nicht an die Strippe bekomme, werde ich zunehmend nervös. Vielleicht ist sein Starlink-Anlage kaputt. Oder der Inverter, der das System mit Strom versorgt. Dann hätte die Kommunikation jetzt ein Ende. Aber bevor ich mich in alle nur erdenklichen Szenarien hineindenke, sitze ich das Problem erst einmal aus. Und das erfolgreich, Florian meldet sich, sein System hatte den Morgen 1 1/2 Stunden für den Start benötigt. Zum Glück ist es für Florian in Ordnung, dass wir von nun an nicht mehr Seite an Seite segeln, schließlich sei das Wetter im weiteren Verlauf der Reise absehbar und wenig kritisch. Es wäre mir sehr schwer gefallen, die Aluna bei besten Segelwind zu drosseln.
Dieser Tag ist ruppiger als erwartet. Wieder kommen Wellen auf, die für Schaukelei sorgen und das Boot ab und zu von seinem Kurs abbringen. Auch sorgen Böen dafür, dass wir immer wieder ein- und wieder ausreffen. Dafür ist aber die Fahrt flott, die Logge zeigt permanent 7 bis 8, teilweises auch 9 Knoten an. Mich erinnert die Fahrt sehr an unsere erste Atlantiküberquerung von den Kapverden nach Barbados, wo wir ähnliche Bedingungen an 11 der 12 Tage hatten: schnell, aber anstrengend durch die Schiffsbewegungen.
Die Nacht verläuft ruhig mit einem braven Boot, das sich rauschend seinen Weg durch die Wellen bahnt. Nur einmal komme ich während meiner Freiwache an Deck, aufgeschreckt durch ein wahnsinniges, permanentes Rauschen. Aber alles im grünen Bereich kann mir Marthe versichern, kein Ausbrechen des Bootes von seinem Kurs, lediglich kurze Surfphasen, die ich wohl unter Deck wahrgenommen hatte.

Tag 11 (Fr, 10. Mai 2024)
Auch am Morgen läuft das Boot ruhig und beständig. Leider hat sich eine dichte Wollendecke breit gemacht. Ungünstig, denn wir benötigen die Sonne, um unsere Batterien über die Solarzellen wieder aufzufüllen. Zudem ist es feucht, sehr feucht. Unter Deck ist alles klamm und der Boden sieht aus wie frisch gefeudelt.
Ich rechne jederzeit damit, den Motor starten zu müssen, um der Batterie auf die Sprünge zu helfen. Normalerweise rufe ich direkt nach dem Aufstehen die Wetterdaten ab, heute verschiebe ich das, um die Batterie nicht auch noch mit dem Stromfresser namens „Starlink“ zu belasten. Erst kurz vor 09 Uhr, vor dem täglichen WhatsApp-Call mit Florian, ziehe ich das Wetter. Vom Prinzip hat sich an der Vorhersage wenig verändert: Ab Samstag/Sonntag kommen wir in den Einflussbereich des Azorenhochs, das sich von Süden aus annähert. Ausweichen nach Norden bringt höhere Windgeschwindigkeiten aber auch einen längeren Weg. Von einem Menschen kaum zu beurteilen, wo das Optimum liegt. So ziehen wir wieder Florians Geheimwaffe, das Weather-Routing-Programm, gefüttert mit den neusten Wetterdaten. Dieses empfiehlt, einen langestreckten Bogen etwa 40 sm nördlich der direkten Kurslinie zu segeln.
Ansonsten bleibt der Tag so grau, wie er begonnen hat. Dies schlägt auf die Stimmung. Hinzu kommt der stamme Rückenwind, der die Fahrt zwar wunderbar schnell werden lässt, aber das Boot auch zu ziemlichen Torkel-Bewegungen verhilft. Das macht das Leben schlicht anstrengend.

Um 14 Uhr erfolgt noch einmal ein besonderer Moment: Wir haben wieder eine Zeitzonengrenze passiert und stellen dir Uhr eine Stunde weiter. Auf der Sima passiert das gleiche, dies haben wir zuvor abgestimmt, damit auf unseren Booten die gleiche Bordzeit herrscht. Immer wieder kurios, dass es selbst draußen auf See nicht ohne Bedeutung ist, in welcher Zeitzone man lebt.
Abends kommen wieder einige Aktionen zusammen: Wetter abrufen, für das es um 19 Uhr eine Aktualisierung gibt. Sobald ich über Starlink online gehe, kommen natürlich WhatsApp-Nachrichten und E-Mails, die ich ebenfalls beantworten möchte. Positionsmeldungen anderer Segler trage ich in die elektronische Karte ein – natürlich nicht ohne zu schauen, wie wir im Vergleich Strecke gemacht haben. Dies sieht immerhin gut aus: Wir bleiben das schnellste Schiff.

Florian lässt auf der Basis die Route neu berechnen und schickt sie mir zu. Dann schließen wir uns per WhatsApp zusammen, wie es weitergehen soll. In diesem Fall ist das Ergebnis eindeutig: Sofort Halsen, um Kurs auf Flores, der westlichsten Azoreninsel zu nehmen. Ich bin reichlich nervös, ein Kurswechsel wäre schon Stunden zuvor optimal gewesen. So möchte ich wenigstens zügig das Steuer herumreißen. Simon und Marthe haben derweil Essen vorbereitet, Kürbissuppe mit in der Pfanne gebackenen Brot, das direkt im Anschluss serviert wird.

Zum Abend hin hat der Wind bereits merklich nachgelassen. Die Zeit des Reffens ist offensichtlich vorbei, wir segeln unter Vollzeug, ohne das Boot auch nur näherungsweise zu überfordern. Ganz zahm ist mit einmal unser Aluna wie auch die See. Kann man ja auch mal gebrauchen, so geht es hinein in die Nacht.

Tag 12 (Sa, 11. Mai 2024)
Am Morgen gleitet das Boot weiterhin entspannt durch die Wellen. Ich habe so ruhig geschlafen wie auf der gesamten Überfahrt nicht. Kaum schaukeln, keine Wellen, die gegen den Rumpf knallen, nur dieses herrliche Geräusch der Strömung. Und der Himmel verspricht wieder, anders als am Vortag, einen sonnigen Tag. Zwar noch etwas dunstig mit einigen Wolken am Horizont, aber die wird die Sonne sicherlich bald auflösen.

Mittlerweile ist unser Ziel Horta auf Faial in schon fast greifbare Nähe gerückt, Luftlinie 225 sm. Das ändert das Lebensgefühl ganz enorm. Vorbei ist das Zeitlose vom Beginn der Reise, wo ich anfangs vermieden, dann vergessen habe, ans Ziel zu denken. Etwas Wehmut kommt auf. Nun wage ich sogar, eine ETA (Estimated Time of Arrival) anzugeben: Montag um 03:00. Frühmorgens also, etwas schade, denn dann werden wir unsere Ziel-Insel Faial nachts umrunden und wohl nur anhand der Lichter wahrnehmen.
Zur aufgehenden Sonne gesellt sich heute Morgen noch ein Delfinpärchen, das um das Boot herumspielen. Solche Augenblicke sind es, die alles wieder gutmachen, und die schon fast zu schön sind, um wahr zu sein.
Ich rechne an diesem Tag eigentlich mit langsam abnehmen Windgeschwindigkeiten und sogar mit Motoren. Um so intensiver habe ich das Wetter studiert, um einen möglichst windreichen Pfad zu finden. Erfreulicherweise läuft es aber nicht nur gut, sondern sogar exzellent. Wir raschen nur so unserem Ziel entgegen. Abends gibt es noch einmal die Abstimmungsrunde mit Florian, der für unseren Standort noch einmal die theoretisch optimale Route berechnet.

Tag 13 (So, 12. Mai 2024)
Und auch die Nacht verläuft glänzend. Wir sind so schnell, dass ich die Prognose wage, dass wir bereits am heutigen Sonntag und das sogar im Hellen ankommen werden. Und so ist es dann auch: Bereits vormittags kommt Faial in Sicht. Feierlich wird die Quarantäne- und Gastlandflagge Portugals unter der Saling gehisst.

Ganz ruhig segeln wir an der Küste entlang, um am Ende der Insel in den Hafen Hortas zu gelangen. Vorbei geht es an der Westspitze Hortas, die noch keine 70 Jahre alt ist: Sie wurde erst 1956 bei einem Vulkanausbruch geschaffen.

Bis buchstäblich direkt vor die Hafeneinfahrt können wir segeln. Schon von weitem begrüßen uns Katja und Klaus, die seit ein paar Stunden von Flores kommend am Steg liegen.

Dann heißt es Segel runter und vor der Marina den Anker fallen lassen. Eigentlich ein erhebender Moment und gleichzeitig ein einfaches Unterfangen. Dieses Mal aber nicht: Wir sind nicht die einzigen Ankerlieger und müssen drei Male den Haken fallen lassen, bis wir eine Position gefunden habe, mit der wir uns wohl fühlen. Außerdem steht Einklarieren an, wofür auch noch das Dingi, aufgeblasen und gewässert werden muss. Zuvor genehmigten wir uns zwar noch das obligatorische Einlauf-Bier, aber richtig genießen kann ich es nicht.

So richtig zur Ruhe komme ich erst, nachdem wir die Hafenbehörde aufgesucht haben, die uns zwar auf morgen vertröstet, aber versichert, wir dürften uns bereits jetzt in Horta frei bewegen. Susanne, Mathe und Simon gehen Pizza essen – vor allem Marthe hatte während der letzten Tage unserer Überfahrt ordentlichen Schmacht auf die italienische Spezialität entwickelt. Und ich gehe bei Katja und Klaus Hallo sagen, die sich zwei Wochen vor uns von den Bahamas auf den Weg gemacht hatten, sodass bei unserem Wiedersehen reichlich Gesprächsstoff vorhanden ist. Und so langsam heißt es: Angekommen!

8 Kommentare

  1. Frank&Karin

    Moin Jochen,
    6,7kn im Schnitt , einachtbares Ergebnis. Gratuliere! Auch sonst scheint ihr ein gutes Team zu sein.
    Wünsche euch weiterhin den richtigen Wind und Glück bei der Heimreise!
    Karin und ich werden übermorgen nach Stockholm fliegen und die Alauna seeklar machen.
    3 Monate sind geplant, wir hoffen auf gutes Wetter. Leider können wir eure Ankunft nicht miterleben, müssen wir in den September verschieben! Gute Heimreise und immer 3 Füße Wasser
    unterm Kiel wünschen euch Frank&Karin

    • Hallo Frank und Karin,
      ja, das war zum ganz überwiegenden Teil wirklich gutes Segeln – mal mit mehr, mal mit weniger komfortablen Bedingungen.
      Wir liegen nun auf Terceira (Azoren), seit dem 1. Juni sind Christoph (mein Cousin) und Niklaas dabei und wir warten geduldig auf ein Wetterfester. Genau genommen können wir uns glücklich schätzen, dass es noch nicht da ist: Die beiden sind ohnehin ziemlich erledigt und ein paar Tage der Eingewöhnung tut ihn gut. Und ich: bin erst einmal krank geworden, mit Schüttelfrost und so??!! Aber alles wird gut – ich fühl mich schon besser und in zwei Tagen (07. Juni) sieht’s gut zum Weitersegeln aus.
      Was mich ja immer freut, dass ihr Eurer Alauna und Schweden so treu seit. Das wird sicherlich wieder eine schöne Zeit! Ich wünsche Euch in jedem Fall einen guten Start in Eure Segelsaison.
      Liebe Grüße von Jochen und Anja

  2. Ulrike Dollenberg

    Lieber Jochen, ganz herzlichen Glückwunsch nachträglich zu Deinem Geburtstag und alles Liebe von Ulli und Stolle! Wir hoffen sehr, dass es Dir wieder gut geht und wünschen Dir ein richtig schönes neues Jahr und ein weiterhin herrliches Segeln mit Anja und eine gute Ankunft in Kiel – leider können wir erst nachträglich mit euch eure Heimkehr feiern, denn wir sind dann ja noch in Schottland. Hoffentlich läuft alles gut mit Euch und der Tour von den Azoren. Ihr seid ja anscheinend schon nahe an GB. Wir sind zur Zeit in Wales – traumhafte Küste, vor allem die von Pembrokeshire! Sei lieb umarmt und Anja auch

    • Hallo Ulli und Stolle,
      Danke für die guten Wünsche! Dieses Jahr haben wir ja auf See „gefeiert“ – wenn auch ausgerechnet am stürmischsten Tag der gesamten Reise… Inzwischen sind wir auf den Isles of Scilly gelandet, können nun wieder herrlich ausschlafen und genießen die wunderschöne Landschaft und diese besondere britische Atmosphäre.
      Dann freue ich mich, wenn wir in Kiel, Aukrug oder Itzehoe unser Wiedersehen feiern können – es läuft uns ja nicht weg!
      Seit herzlich gegrüßt von Jochen und auch von Anja

  3. Stefanie Nick

    Lieber Jochen, beim Lesen ist mir aufgefallen, dass du im Mai , manchmal April geschrieben hast. Hast bestimmt wenig Schlaf gehabt. Schön, dass ihr wieder heil zurück gekommen seid! Liebe Grüße Steffi 🫶🏻🫶🏻

    • Liebe Steffi,
      Danke fürs aufmerksame Lesen – der Schlafmangel ist tatsächlich auf einer Überfahrt immer mit dabei!
      Grüße aus dem schönen Cornwall
      wünscht Jochen

  4. Bettina u. Hans

    Liebe Anja, lieber Jochen,
    für uns als Nichtsegler sieht das streckenweise sehr beängstigend / bedrohlich und abenteuerlich aus.
    Nichtsdestotrotz hast Du Jochen das gemeistert und Du bist mit Deiner Crew wohlbehalten auf den Azoren angekommen.
    Weiterhin eine gute Reise wünschen,
    Bettina u. Hans

    • Hallo Bettina und Hans,
      es wäre wohl vermessen zu behaupten, dass bei einem solchen Trip nicht die auch die Furcht gegenwärtig ist. Hält alles den Belastungen stand? Wie entwickelt sich das vorhergesagte Wetter wirklich? Bleiben alle gesund? Und es ereignen sich auch tatsächlich ständig irgendwelche Ausfälle. Aber das große Glück auf einem Segelboot (im Vergleich zu einem Flugzeug): Man hat in aller Regel Zeit. Und viel Spielraum für notdürftige Reparaturen, um in den nächsten Hafen zu gelangen.
      Viel Spaß weiterhin mit unserer Seite wünscht
      Jochen

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