Bermuda – damit wird stets als erstes das Bermudadreieck assoziiert. Jedenfalls werden wir von vielen angesprochen, ob wir davor nicht Bedenken hätten, auf dem Weg nach Bermuda so mysteriös zu verschwinden wie so viel andere. Zum Glück handelt es sich aber nur um einen schönen Mythos. Zwar sind in der Gegend tatsächlich schon Schiffe und Flugzeuge verschwunden, aber nicht mehr als anderswo.
Trotz alledem wollen wir die Reise nach Bermuda und den anschließenden Törnabschnitt zu den Azoren nicht zu zweit antreten, sondern haben drei weitere Crewmitglieder angeheuert: Susanne ist seit einem halben Jahr auf Reise in Südamerika und möchte zünftig auf dem Seeweg zurück in die Heimat. Und Marthe und Simon haben gerade Zeit, sich einen Traum zu erfüllen. Simon hat gerade seine Doktorprüfung hinter sich gelassen und Marthe kann sich in ihren Tiermedizin-Studium den Zeitraum freiräumen.
Die Drei kommen in Nassau, der Hauptstadt der Bahamas, per Flieger an. Von den traumhaften Exumas kommend ist Nassau eher ernüchternd: Wir ankern vor einer Industriekulisse, der Platz ist eng, durch die starke Strömung trudeln die Ankerlieger wild umher. Kein Ort zum Wohlfühlen.
Deshalb wollen wir nicht länger als nötig hier verweilen. Und dies nehmen wir wortwörtlich: Wir holen erst Marthe und Simon, dann eine Stunde später auch Susanne mit dem Dingi ab. Und nachdem unsere übermüdeten Gäste ihre Sachen verstaute haben, geht es Anker-Auf: Wir wollen ein schmales Windfenster nutzen, um auf die nächste Insel Abaco zu gelangen. Die nächste Gelegenheit wäre erst drei Tage später und das auch nur „vielleicht“.
Bei wunderbarem Rückenwind geht es bei einem Abendessen, das Anja vorbereitet hat, am gedeckten Tisch dem Ziel entgegen. Gegen 22 Uhr kriechen unsere drei in ihre Kojen und fallen in Koma-artigen Schlaf. Anja und ich schieben die Wachen. Abwechselnd legen wir uns für ein paar Stunden hin, ich finde allerdings kaum Schlaf.
Nach idealem Segeln bringt der frühe Morgen erst ausgiebiges Wetterleuchten, dann Gewittergrollen und mit Tagesanbruch ausgiebigen Regen. Zum Glück sind wir bald am Ziel Marsh Harbor auf Abaco angekommen und lassen reichlich übermüdet den Anker fallen.
Unsere Gäste tun uns ja etwas leid: Nach anstrengender Anreise und nachdem wir pausenlos Traumbilder mit türkisfarbenen Wasser gepostet haben, herrscht hier eher trübe Ostseestimmung. Aber über die Tage wird es immer besser: Die Sonne kommt wieder in Erscheinung, wir unternehmen einen Ausflug zum nahegelegenen Strand und besuchen vor unserem Aufbruch die vorgelagerte Insel Man O‘ War Cay, die sozusagen auf dem Weg nach Bermuda liegt.
Zuvor stehen aber noch Reisevorbereitungen an. Das Wichtigste: die Proviantierung. Und das für die nächsten sechs Wochen. Zwar werden wir hoffentlich nicht so lange bis zu den Bermudas brauchen, aber: Schon auf den Bahamas sind die Lebensmittelpreise stramm, werden aber von Bermuda noch getoppt, weshalb unsere Vorräte bis zu den Azoren reichen sollen. Im günstigen Kolumbien haben wir bereits einiges an Grundnahrungsmittel eingekauft, zum Glück auch Haferflocken, die auf den Bahamas mit 8 $ für eine 500-g-Packung gänzlich durch die Decke gehen. Ansonsten liegen die Lebensmittepreise lediglich beim Dreifachen gegenüber Deutschland.
Für den Großeinkauf bleibe ich an Bord, um ein wenig Schlaf nachzuholen. Außerdem mache ich mich an die Installation der diversen „Mitbringsel“, die Simon und Mathe in ihrem Gepäck haben. Das größte ist das Starlink-Kit, mit dem eine Internet-Verbindung auch auf hoher See ermöglicht werden soll. Dies wollen wir in erster Linie für den Empfang detaillierter Wetterinformation während der Reise an Bord haben. Ich hatte bordseitig schon alles vorbereitet, sodass die Installation schnell gemacht ist – und schon kann ich die erste WhatsApp an Anja verschicken. Welch ein Wunder!
Währenddessen sind wir permanent am Schielen auf die Wetterentwicklung der nächsten 10 Tage. Den Sonntag hatten wir schon ins Auge gefasst, dann erscheint uns wieder Montag oder Dienstag günstiger. Mit Gerco und Annemiek, ein holländisches Pärchen, die mit ihrer „Spirit of a Geisha“ ebenfalls nach Bermuda übersetzen wollen, tauschen wir uns natürlich auch darüber aus. Aber den beiden erscheint die Zeit für den Absprung als noch nicht gekommen. Sie schielen auf den Samstag, der uns hingegen nicht besonders aussichtsreich erscheint. So gehen die Meinungen auseinander, was bei der Komplexität der Wetterentwicklung auch nicht weiter verwunderlich ist.
Aber stattdessen bekommen wir einen anderen Begleiter: Isa und Florian sind mit ihren beiden Kindern und einem weiteren Kompagnon Marius ebenfalls auf der Rückreise nach Deutschland. Wir hatten uns während der Reise immer wieder ausgetauscht, nun wollen die fünf ebenfalls „unser“ Wetterfenster nutzen. Am Abend vor unserer Abreise – wir ankern noch einmal malerisch vor der erwähnten Man O‘ War Cay unweit von Marsh Harbor – wirft auch deren Segelyacht „Sima“ dort ihren Anker. Florian kommt herübergerudert, bei einem Bier gehen wir noch einmal unsere Taktiken durch, die sich erfreulich ähnlich sind. Florian hat die optimale Route sogar von einem sogenannten Weather-Routing-Programm durchrechnen lassen. Die Ergebnisse unterscheiden sich zwar recht stark von Wettermodell zu Wettermodell. Aber die Tendenz bleibt die gleiche: Wegen eines ausgeprägten Hochdruckgebiets zwischen Bermuda und Bahamas mit entsprechendem Schwachwind ist nicht der direkte Weg der schnellste, sondern wir wollen das Gebiet in einem weiten Bogen umsegeln. Und so verabreden wir ein gemeinsames Anker-Auf für den nächsten Tag um 08:00 Uhr.
Tag 1 (Di, 16. April 2024)
Wir alle stehen früher auf als sonst, um pünktlich loszukommen. Bei einer bevorstehenden Reise von etwa 7 Tagen und etwa 800 sm ist es eigentlich nicht so entscheidend, ob der Aufbruch zwei Stunden früher oder später erfolgt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass wir am Ende der Reise froh sind, rechtzeitig in Bermuda anzukommen, bevor die Bedingungen komplizierter werden.
Fast zeitgleich geht bei unseren beiden Schiffen der Anker hoch, motoren durch den Cut ins offene Wasser, Segel hoch und genießen. Wenn so auch der Rest der Reise verläuft, sind wir zufrieden!
Und der Tag und Nacht verlaufen tatsächlich so weiter. Ab und zu mal ein Tausch der Fock gegen die Genua, ein Reff in die Genua oder eine leichte Kurskorrektur ist alles, was wir tun müssen.
Zwischendurch starte ich – nun fern von jeglichem Mobilfunknetz – das erste Mal Starlink auf hoher See. Von meinem Telefon aus lässt sich das System zwar aus unerfindlichen Gründen nicht hochfahren, aber mit Marthes Mobiltelefon funktioniert es dann problemlos und ich kann ungewohnt schnell ausführliche Wetterinformationen herunterladen. Schnell heißt hier: Was mit Kurzwelle mindestens eine halbe Stunde und viel, viel Nerven und Fluchen gekostet hätte, gelingt hier in wenigen Minuten. Ich werte die Daten aus, lege anhand dessen einen nächsten Wegepunkt fest – und der liegt fast genau auf der Route, die am Tag zuvor von Florians Weather-Routing-Programm berechnet wurde. Mit der Sima verständigten wir uns anschließend über UKW-Funk, dass wir beide auf dieser Route bleiben werden. Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir uns schnell aus den Augen verlieren würden, aber wir bleiben erstaunlich dicht beisammen: Die Sima bleibt den ganzen Tag über in Sichtweite und auch in der Nacht bleiben deren Positionslichter erkennbar.
In der Nacht wachen wir immer zu zweit in 4-Stunden-Schichten. Susanne und Anja übernehmen von 08 bis 24 Uhr und 04 bis 08 Uhr, Marthe und Simon haben die bekanntermaßen anstrengende Hundewache von 00 bis 04 Uhr. Ich habe als Skipper den Luxus, davon ausgenommen zu sein, dafür aber bei Bedarf bereitzustehen.
Wie für die erste Nacht schon fast gewohnt, ist auch diese von Einschlafproblemen geprägt. Als Anja um vier ihre Wache antritt, hat sie noch nicht geschlafen. Ich übernehme deshalb ab 06 Uhr und sie kann hoffentlich schlafen. Ich habe dadurch das Privileg, das Hellerwerden live mitzubekommen. Erst ist es ein wenig dämmrig, dann erscheint im Osten ein wenig Licht und ich überlege, ob dies schon die nahende Sonne ist. Aber eine Viertelstunde später gibt es schon keinen Zweifel mehr – sie ist es und man könnte bereits eine Zeitung lesen.
Tag 2 (Mi, 17. April 2024)
Der Tag beginnt mit herrlichem Segeln. Aber dann erwischt uns das erwähnte Hochdruckgebiet, der Wind wird schwach und schwächer und wir setzen den Motor anstelle der Segel. Wir hatten zwar beim Ablegen schon gewusst, dass diese Durststrecke unvermeidbar sein würde, um an die Nordseite des Hochs zu gelangen. Aber irgendwie ist man dann doch überrascht, wie der Wind so langsam ausbleibt. Von Zeit zu Zeit können wir eine Windböe nutzen und für ein oder zwei Stunden die Segel setzten. Auf der Sima, unser Buddy-Boat, das uns in ein paar Meilen Abstand folgt, spielt sich Ähnliches ab. Allerdings können sie teilweise ihren Blister setzen, ein großflächiges Leichtwindsegel, das beim vorherrschten Halbwind seinen Trumpf voll ausspielen kann. Ich werde ernsthaft neidisch und überlege sogar, unseren Blister, der seit Portugal tief vergraben in der Backskiste liegt, hervorzuholen. Zum Glück siegt die Vernunft: Denn wir konnten während unserer Reise mehrfach erfahren, dass es sich bei dem Segel zwar um einen Blister handelt, der aber für das Boot viel zu klein gewählt wurde, um für ordentlichen Vortrieb zu sorgen.
Währenddessen tauschen wir uns immer wieder mit der Sima aus. Über UKW-Funk können wir miteinander sprechen und mithilfe von Starlink, das auch auf der Sima frisch installiert wurde, Daten verschicken. Und dies nutzen wir auch: Florian füttert sein Weather-Routing-Programm mit den aktuellsten Wetterdaten und dem Geschwindigkeitspotential seines Bootes. Daraus wird die schnellste Route vom jeweiligen Standort zum Ziel Bermuda berechnet. Diese Route schickt mir Florian zu, ich bringe sie in Deckung mit den Wetterdaten, die über einem Internet-Service frei verfügbar sind. Gemeinsam mit Anja schauen wir uns die Plausibilität der Route an und legen dann die Wegepunkte fest, die wir am Ende anfahren (oder besser ansegeln) wollen. Dies stimmen wir mit der Sima ab, um am Ende mit beiden Schiffen auf einer gemeinsamen Route zu bleiben.
Das macht Spaß: Den Wind können wir damit zwar nicht beeinflussen, aber es gibt uns das Gefühl, zumindest den halbwegs besten Kurs durch das Windgebiet zu finden. Viel besser, als nur mit vagen Vermutungen in einem Wettergeschehen zu stecken.
Immerhin vergeht der Tag sehr entspannt und stressfrei. Im Cockpit wird der Tisch mit opulenten Mahlzeiten gedeckt. Wir essen besser, origineller und gesünder als so manches Mal an Land.
Die Nacht – nun die zweite – verläuft deutlich ruhiger als die erste. Der Wachrhythmus bleibt zwar der alte, aber wahrscheinlich ist der Adrenalinspiegel mittlerweile etwas gesunken. Ich jedenfalls schlafe wie ein Stein.
Um halb sechs weckt mich Anja mit der freudigen Mitteilung: Wir können langsam die Segel setzen. Am Abend zuvor hatte ich dazu schon den Spibaum in Stellung gebracht in der Annahme, dass dieser Moment schon gegen Mitternacht kommen würde. Aber jetzt ist er da! Die Segel sind schnell gesetzt, der Motor darf sich wieder ausruhen und mit drei Knoten Fahrt schieben wir uns durch die Nacht. Ich übernehme diesen letzten Teil der Wache und Anja und Susanne kriechen in ihre Kojen. Zugegebenermaßen erwische ich damit wieder ein Privileg: nämlich die langsam einsetzende Morgendämmerung, die immer wieder schön ist …
Tag 3 (Do, 18. April 2024)
Die Zitterpartie, ob der Wind gleich wieder einschlafen wird ist bald vorbei – schon eine Stunde später wir schiebt uns der Wind mit 7 kn voran. Die Durchquerung des Hochdruckgebiets ist gemeistert! Nach dem Frühstück folgt eine eher unromantische und unpassende Tätigkeit: Wir buchen den Flug von den Bermudas zu den Azoren für Anja, die diese Etappe überspringen möchte. Nach einigen Stolpersteinen und Stressmomenten klappt es tatsächlich – Starlink sei Dank. In ein paar Jahren wird es sicherlich das normalste der Welt sein, auch auf hoher See Einkäufe zu erledigen. Aber noch fühlt es sich an wie vor 25 Jahren das erste Telefongespräch mit einem Handy.
Auch nach 2 1/2 Tagen Segeln sind wir mit der Sima noch in Sichtweite. Und ich hätte gedacht, dass wir uns spätestens nach einem Tages aus den Augen verlieren würden, aber wir stimmen unseren Kurs ab und unsere Schiffe sind erstaunlich ähnlich in der Geschwindigkeit. Nun aber bei einem Vor-Wind-Kurs nimmt die Distanz stetig zu. Ich bin allerdings auch zuversichtlich, dass mit der nächsten Schwachwindzone, bei der auf der Sima der Blister gesetzt wird, unser Buddy-Boat wieder aufholen wird. Ich kann mich jedenfalls nicht durchringen, mutwillig die Geschwindigkeit zu reduzieren.
Tag 4 (Fr, 19. April 2024)
Heute ist ein echter Durchhänger-Tag. Für mich startet es mit der Auswertung der Wetterdaten – nicht schön, denn vor uns wartet eine zweite, nervenaufreibende Schwachwindzone. Dabei steht die schwierige Entscheidung einer nördlicheren oder einer südlicheren Route an. Das Weather-Routing-Programm, dessen Ergebnis mir Florian wieder zugeschickt hat, empfiehlt die nördliche. Dabei sind die Windgeschwindigkeiten zwar geringer, dafür aber die Windrichtung günstiger. Auch Florian ist am Zaudern und wir beschließen, die Entscheidung auf die Veröffentlichung des nächsten Wettermodells zu verschieben – um 16 Uhr. Zum Glück haben sich bis dahin die Verhältnisse so verschoben, dass die südlichere Route eindeutig die günstigere ist. Aber diese Prozesse zehren an meinen Nerven. Mindestens genauso tut es der flaue Wind. Es genügt zwar gerade zum Segeln, aber die Segel schlagen und der Blick auf die Logge führt nicht unbedingt zu mentalen Höhenflügen. Dies wirkt sich auch auf die allgemeine Stimmung aus und die gesamte Mannschaft ist etwas apathisch. Die Stecke zieht sich wie Kaugummi und es ist schwer zu glauben, dass wir bei unserem Tempo jemals Bermuda erreichen werden.
Wenigstens können wir abends Bergfest feiern. Da wir in einem weiten Bogen auf Bermuda zusegeln, ist es etwas Definitionssache, wo genau der Gipfel erreicht ist. Wir segeln am Ende so lange, bis Bermuda in Luftlinie halb so weit entfernt liegt wie die direkte Distanz zwischen Start und Ziel. Dies ist abends erreicht und wir feiern zwar nicht euphorisch, aber immerhin mit einem Kuchen, den Anja und ich tagsüber in unserer Brotbackmaschine gebacken haben.
Tag 5 (Sa, 20. April 2024)
Ein toller Tag, wenn auch nicht von Beginn an: Die Nacht war von schlagenden Segeln geprägt, der Wind stets hart an der unteren Grenze, aber immerhin ausreichend zum Segeln. Und am frühen Vormittag ist er mit einem Male ganz weg. Wasser wie flüssiges Blei, wie wir es bislang nur von der Ostsee kannten. Nun hat es uns doch eingeholt, die zweite Flautenzone. Aber nach drei Stunden meldet sich wieder der Wind. Ganz vorsichtig setzten wir Segel, dann geht es los mit zunächst drei Knoten, ohne zu wissen, ob es sich nur um eine kurze Böe handelt. Aber es wird mehr und bald fühlt es sich wieder an wie segeln. Und das bleibt den ganzen Tag so. Und das schönste: Die Wetterdaten versprechen, dass es von nun an nur noch mehr wird. Am Tag vor unserer prognostizierten Ankunft kann es sogar recht kräftig werden.
Tag 6 (So, 21. April 2024)
Und so kommt es dann auch: vernünftiger Segelwind, keine schlagenden Segel. Die Herausforderung heute: Der Wind kommt genau von hinten und diesen Kurs können wir nicht segeln, jedenfalls nicht, ohne rattenlangsam zu werden. Stattdessen ist die Taktik, abwechselnd links und rechts am Ziel vorbeizusegeln und sich so dem Ziel im Zick-Zack zu nähern. Gleichzeitig versuche ich leichte Winddreher, die vom Wettermodell sehr zuverlässig vorausgesagt werden, zu unsren Vorteil zu nutzen. Außerdem sollten die Halsen, also der Wechsel des Kurses von „links am Ziel vorbei“ auf „rechts am Ziel vorbei“ möglichst nicht in die Nacht fallen.
Das gute dabei: Wir können das Halsen so mit der gesamten Mannschaft unter moderaten Bedingungen üben. Mit Simon, stets sehr interessiert dazuzulernen, begleitet mich für die ca. einhundert zu erledigenden Handgriffe auf dem Vorschiff. Beim nächsten Male tauschen wir die Rollen: Simon macht und ich schaue.
Die Funkverbindung per UKW mit der Sima wird durch die Distanz der Schiffe zunehmend verrauschter. So verabreden wir uns zu einem WhatsApp-Gespräch. Zwar nicht besonders zünftig und maritim, aber: Es funktioniert.
Mittlerweile haben wir uns Bermuda so weit angenähert, dass ich eine Ankunftszeit zu prognostizieren wage: Montag Vormittag. Wir gehen die Schritte durch, die dann in rascher Abfolge anstehen: Kurse zum Einlaufen, Segelmanöver und das Einklarierungsprozedere. Auch wenn wir letzteres schon dutzende Male davon hinter uns gebracht haben, ist die Einreise in ein fremdes Land immer wieder aufregend. Zwar ist im Internet in den Homepages der Länder, Internetforen und Cruising-Seiten der Ablauf dokumentiert. Aber immer wieder gibt es widersprüchliche Aussagen oder auch Bedingungen, die wir nicht erfüllen. In diesem Fall sind es die Ausreisepapiere von den Bahamas, die wir nicht bekommen konnten. Außerdem ist laut Gesetzestext die Einfuhr diverser frischer Früchte und Gemüsearten nicht gestattet. Haben wir aber an Bord und möchten wir auch nicht entsorgen. Deshalb packen wir die verbotene Fracht etwas dezent in die Backskiste für den Fall, dass ein Zöllner an Bord zur Kontrolle kommt.
Tag 7 (Mo, 22. April 2024)
Die Nacht verläuft in Rauschefahrt und mit dem Sonnenaufgang kommt Bermuda in Sicht! Im Sonnenschein runden wir die Insel und segeln fast die gesamte Ostküste entlang, um zu unserem Einklarierungshafen St. George zu gelangen. Ein schöner Einstand. Gerade als ich unter Deck bin, um Bermuda Harbor Radio per UKW-Funk unsere Ankunft anzukündigen, kommt ein Aufschrei von oben: ein Wal! Anja kann die Flosse erkennen, ich bekomme leider nur noch einiges Spritzen zu Gesicht, dann ist er weg.
Von nun an muss alles Schlag auf Schlag gehen, minutiös geplant: Genua wegnehmen, eine letzte Halse, dann auf Halbwindkurs zur Ansteuerungstonne, dort unter Motor weiter, Großsegel bleibt stehen, bis wir unter Landschutz auch das Groß fallen lassen. Zwischendurch noch zwei Mal Funken mit Bermuda Harbor Radio zur Abstimmung des Einlaufens. Zum Schluss der für mich aufregendste Teil: Anlegen am Customs-Steg zum Einklarieren. Ankern sind wir ja gewohnt, aber das letzte Anlegemanöver liegt Monate zurück. Aber es klappt trotzdem ohne Schramme. Und auch das Einklarieren verläuft einfach und freundlich – nach einer Stunde sind wir „clean“.
Wir verholen uns auf einen nahegelegenen Ankerplatz. Anja und ich sind ziemlich erledigt, während sich unsere junge Crew bereits schlau gemacht haben, was es an Land alles zu entdecken gibt. Der Wind weht uns kräftig um die Ohren, für den nächsten Tag ist aber noch stärkere Wind angesagt, der einen Landgang wahrscheinlich unmöglich machen wird. So lassen Anja und ich uns dazu hinreißen, das an Deck verstaute Dingi klar zu machen für einen Landgang. Und wir werden nicht enttäuscht: Freundliche Atmosphäre empfängt uns, der englische Stil ist unverkennbar. Ruinen werden dekorativ von Kapuzinerkresse überwuchert. Eine so liebevolle Kombination von wilder Natur und Gestaltung. Wir sind angekommen!
Liebe Anja, lieber Jochen,
für uns als Nichtsegler zeigt sich an diesem Reisebericht, daß Segeln auch viel mit Planung und techn. Details zu tun hat. Dies kann dann wohl auch in körperlichen Streß durch „Nichtausgeschlafen sein“ münden. Aber glücklicherweise kommen sicherlich auch Zeiten die dem Relaxen und der Entspannung dienen.
Vielen Dank Jochen für Deinen Bericht,
Bettina u. Hans
Hallo Bettina und Hans,
oh, da sagt ihr was. Ich glaube mittlerweile, mehrtägige Überfahrten und Unausgeschlafen-Sein gehören irgendwie zusammen. Wir sind gerade in England angekommen und nach 9 Tagen auf See war das sehnlichste, was sich alle gewünscht haben: Schlafen, schlafen, schlafen. Und das, ohne zwischendurch aufstehen zu müssen. Wir sind in jedem Fall wieder im Erholungsmodus auf den Isles of Scilly und die Strapazen sind schnell vergessen.
Herzliche Grüße
von Jochen und Anja